Just habe ich im Magazin Spiegel das Interview mit Modetheoretikerin Barbara Vinken zu ihrem gleichnamigen Buch „Ver-Kleiden“ und Crossdressing als Möglichkeit der Befreiung gelesen. Dabei schoss mir sofort unsere Kampagne von 2015 für die Hannoverschen Verkehrsbetriebe in den Sinn. Wir haben damals männlichen Fahr- und Servicepersonalen Röcke als Teil der Dienstkleidung angezogen, um so Frauen auf die Arbeitgeberin Üstra aufmerksam zu machen. Der Rock als zentrales Element ermöglicht es, Konventionen auszuhebeln, das war uns schon damals sonnenklar. Überdies ist der Rock ein reales Bekleidungsstück der Dienstuniform, der von Männern getragen werden kann. Und die Männer der Üstra zogen ihn tatsächlich gerne an zur Dienstuniform. Sie schrieben damit Geschichte und machten Schlagzeilen – weltweit bis nach Taiwan (dort gibt es Gender-Studiengang) und Samoa, tatsächlich.
Männer in Röcken – klar – heute tragen die Rockstars und Schauspieler ebenfalls Röcke und Handtaschen. Dass aber ein männerdominiertes Verkehrsunternehmen die Röcke offiziell als Teil der Dienstbekleidung einführte, gab es bis dato noch nicht. Modedesigner Yamamoto sagte mal, erst wenn der amerikanische Präsident Rock trüge, sähe die Welt anders aus. In der Region Hannover war das über Nacht der Fall: Fahrer und Vorstände zogen Röcke an. Ja, in Hannover, der nicht gerade aufregenden Landeshauptstadt von Niedersachsen.
So titelte die taz vor sieben Jahren noch auf die Kampagne hin „Männer in Peniskostümen“ – heute wäre das undenkbar, oder? Der Diskurs war eröffnet und von uns gewollt.
Die Sicht von Barbara Vinken in Hinblick auf Verkleidung von Männern und Frauen finde ich im Zusammenhang mit unserer Kampagne deshalb geradezu treffend formuliert: „Der Unterschied aber ist, dass Männer ihre Verkleidung als Eigentlichkeit ausgeben, während Frauen sich selbst als verkleidet ausstellen.“ Diese Eigentlichkeit konnten wir bei den männlichen Fahrern ganz gut beobachten, den idealen Zustand, mit der sie den Rock trugen: neugierig, selbstverständlich und souverän.
Uns hat damals der Clash des Crossdressing gereizt – Klischees so gegeneinander zu führen, dass die Erwartungshorizont gesprengt wurde: So selbstbewusst wie Männer Rock tragen, können Frauen große Dienstfahrzeuge führen.
Damals haben wir damit offene Türen eingerannt. Wir haben das Üstra-Image aufpoliert und das Rollenverständnis der Mitarbeitenden modernisiert. Wir konnten viele Frauen sowie aufgeschlossene Männer als neue Arbeitskräfte begeistern. Der Frauenanteil bei der Üstra stieg kräftig.
Ich beobachte, dass heute — sieben Jahre später — die Stars und Medien das Thema unter dem Begriff „Genderfluidität als Befreiungsschlag“ durchkauen, sich damit behaupten und in Szene setzen wollen. Klar, die Üstra-Männer wollten auch ein Zeichen setzen für eine bessere Unternehmenskultur, für ihr Unternehmen und dann, später, nachdem sich vorwiegend positives Echo einstellte, auch für sich selbst. Das motivierte alle: sie und uns.
Ich teile die Sicht von Barbara Vinken, dass die Mode (immer und immer wieder) das Medium ist, welches sichtbar macht, dass biologisches und soziales Geschlecht unterschiedliche Dinge sind. „Darin liegt die Befreiung“, sagt die Modetheoretikerin.
In unserer Kampagne haben wir das nicht nur gezeigt, sondern die Rockträger konnten es spüren und nachvollziehen im Berufsalltag. Sie haben gezeigt, was möglich ist und dazugelernt, was weibliche Aspekte betrifft. Nicht zuletzt, weil sie sich im Rock raue Beine regelmäßig mit Körperlotion eingecremten oder rasierten, um noch besser auszusehen.
Diese Zeit von 2015 bis 2017 war wirklich eine einmalig tolle Erfahrung. Wir waren alle überwältigt. Die Fahrer der Üstra, die Rock trugen, bezeichneten es sogar als die beste Zeit ihres Lebens, unvergesslich aufregend. WOW – ein Hoch auf Genderfluidität im Rock!
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